SFB Evolution und Genealogie der Übungszettel.

Übungszettelkorrektur ist der Tutoren wöchentlich karges Brot. In ihrem Enthusiasmus und ihrer wissenschaftlichen Neugier beschäftigen sie sich manchmal auch in der Freizeit mit dem Phänomen Übungszettel, suchen nach einzigartigen Exemplaren, systematisieren oder analysieren die (De)Generationenfolge. Hier einige aufsehenerregende Forschungsergebnisse, dargestellt an zwei Fallbeispielen.

Neue Arbeit durch Verkürzung.

Die erste Generation des Übungszettel stand in voller Blüte: saubere Schrift, vernünftige Lösungen, mit hilfreichen Kommentaren versehen - 1. Ableitung neben dem ersten Term, 2. Ableitung einige Zeilen später. Die zweite Generation unverbindlicher, lässiger: schlecht lesbare Schrift, verlorene Indizes, aber auch von gesunder, frischer Kürze - 1. Abl., 2. Abl. Dann jedoch die unerklärliche Katastrophe in der Generation der Enkel: zusammenhangslose Abwechslung von x, y, v und r, durch Doppelpunkte ersetzte i, und schließlich das entwürdigte Erbe: deutlich lesbar stand neben den kaum wiedererkennbaren Termen - 1. Arbeit, 2. Arbeit.

Revolutionäre Anwendung bekannter Lehrsätze.

Die Degeneration steht nicht zwangsläufig am Ende der Generationenfolge. Wie im folgenden Fallbeispiel beschreiten die Kinder oder Kindeskinder manchmal kühn bisher nie gekannte Wege. Die Eltern gutbürgerlich, gesetzestreu, ordentlich: weil die Aufgabe noch nicht abgeschlossen ist, bitten sie in der letzten Zeile mit "b. w." den Tutor, das Blatt zu wenden. Die Kinder ganz in der Tradition der Eltern, jedoch von kleinerer Statur, formelhaft hohlköpfig: dank kleinerer Schrift prangt das "b. w." nun mitten auf der Seite. Um so überraschender dann die Wendung in der dritten Generation mutig, tatkräftig, gleichzeitig traditionsbewußt und pragmatisch. Mit einem genialen Federstrich wird dem überlieferten, überflüssigen "b. w." ein neuer Sinn gegeben - "nach Satz von Bolzano-Weierstraß"

Veröffentlicht in:

HängeMathe Nr. 19

Februar 2002

Entstehungsdatum

Dezember 2001